Man hört die Grillen zirpen und es ist heiß. Ich mache aus dem fahrenden Auto heraus Fotos und dann sehe ich sie auch endlich. Die hübschen schwarzen Stiere mit ihren imposanten halbrund geformten langen Hörnen. Sie liegen friedlich im Schatten von Bäumen und käuen vor sich hin. Die schwarzen Schönheiten mit ihren sanften Augen lassen sich kaum aus der Ruhe bringen. Als sie bemerken, dass ich mit meinem Fotoapparat am Zaun stehe und Bilder erhaschen will, stehen sie gemächlich auf und trotten davon. Einer nach dem anderen unter einen anderen Baum. Auf rund vierhundert Hektar Land leben mehr als fünfhundert Stiere.
Glückliches Leben auf der Weide
Die vierjährigen Stiere kämpfen in der kommenden Saison in der Arena. Die anderen sind zu jung, oder auch zu alt. Die alten sind die Zuchtstiere. Vermutlich wird kein anderes Zuchttier derart gehegt und gepflegt wie die Stiere für den Stierkampf oder die Zucht. Ein schönes Leben - der Tod in der Arena, das ist eben ihre Bestimmung - so die Stierkampfbefürworter.
Mit Spaniern über Stierkampf zu diskutieren ist ein gewagtes Unterfangen. Entweder sie sind aficionados oder es ist ihnen egal. Der Stierkampf interessiert die Mehrheit der Spanier angeblich nicht und sie wollen nicht dauernd damit konfrontiert werden. Er gehört eben zu ihrer Kultur.
Für wen ist der Stierkampf?
Die Stierkämpfe werden vorwiegend für die Touristen veranstaltet und die Arenen seien häufig leer. Ob es nun wirklich vorwiegend Touristen sind, ist nicht wirklich herauszufinden. Jedoch scheint es nicht selten zu sein, dass Nicht-Spanier unbedingt einen Stierkampf live sehen wollen - obwohl man weiß, was einen erwartet. Die einen sind durch Hemingways Roman „Fiesta“ oder „Tod am Nachmittag“ von einer Sehnsucht durchtränkt den Tanz mit dem Stier zu sehen. Die anderen wollen sie sich selbst ein Urteil bilden über das, was so viele als barbarisches Gemetzel bezeichnen, während es eben für andere spanische Kultur ist. Und wer in Spanien ist, muss das mal gesehen haben, um mitreden zu können. Manche denken es gehört zur Bildung dieses kulturelle Spektakel zu sehen. Oder es ist die pure Neugierde. Die Karten für einen Stierkampf sind heiß begehrt und der Schwarzmarkt vor den Arenen boomt. Wer keine Karte ergattert hat, kann dort für drei oder viermal höhere Preise eine Karte bekommen.
Ich selbst habe noch keinen Stierkampf gesehen und ich werde mir auch keinen ansehen. Lediglich im Fernsehen habe ich Ausschnitte von Stierkämpfen gesehen, immer jene, die in der Tagesschau kamen weil sie für den Torero tödlich endeten - das waren in den 80-Jahren zwei. Die sanftmütigen Ungetüme zählen zu meinen Lieblingstieren und ich sehe sie lieber friedlich im Gras liegen, als gequält zu werden. Eine äußerst entzückende Bar in Jeréz haben wir boykottiert, weil auf einem Flachbildfernseher Stierkämpfe in Dauerschleife liefen.
Unvergleichliche Ästhetik
Ich habe mir berichten lassen, die Atmosphäre sei in der Arena unbeschreiblich. Die Stimmung der Menschen sei aufgeheizt, und die anmutigen Bewegungen des Matadors seien faszinierend. Wenn die Stiche „richtig“ säßen, (das passiert selten) dann gelänge der hypnotische Tanz des Matadors mit dem Stier, bei dem das Publikum wie vom Blitz getroffen mit dem Torero und dem Stier in eine heilige Kulthandlung verfällt, die in Schönheit und Ästhetik nicht zu überbieten sei.
Allerdings sei der Stier meistens fast schockierend schnell tot, den anmutigen Tanz sieht man selten.
Stierkampf verboten
Die spanische Jugend interessiert sich kaum mehr dafür. Während in Katalonien und Mallorca der Stierkampf verboten ist, hat Madrid 2013 den Stierkampf zum immateriellen Kulturerbe erklärt.
In der Tat, finde auch ich die Erscheinung eines jungen Toreros mit seiner Glitzerjacke und der passenden Kniebundhose, dem schmucken schwarzen Hut, und den genau auf das Ensemble abgestimmten Schuhen, beeindruckend. Tatsächlich bewegen sie sich äußerst ästhetisch und haben immer gute Figuren mit knackigem Po. Nur die rosa Strümpfe finde ich etwas albern.
Stierkampf mit „Happy- End“
In Portugal endet der Stierkampf nicht tödlich für den Stier- hier wird „nur“ gekämpft und es geht um Geschicklichkeit und Anmut. Auch wenn der Stier überlebt, ist es eine Tierquälerei. Ein Stier geht nicht von alleine auf Menschen los oder ist aggressiv. Da muss vorher schon massiv auf ihn eingewirkt werden.
Tierquälerei zur Unterhaltung
Mir hat bereits die Katastrophe von Grazalema gereicht, bei der ich dachte, ich ginge zu einer Fiesta mit Sevillanas und Vino, und bin dann mitten in einer Stierhatz durch Grazalema gelandet. Die Jungbullen standen zunächst lustlos herum, sie wollten nirgendwo hin und eigentlich ihre Ruhe. Die Zuschauermenge (und das waren alles Einheimische) grölte, und die Stierjäger ärgerten die Stiere, bis sie verängstigt einen Satz machten, und dann endlich mal zu rennen begannen. Ich wusste nicht genau, wer vor wem davonrennt, die Menschen vor den Stieren oder die Stiere vor den Menschen. Jedenfalls hatten die Männer derart Angst, dass sie bis zum Balkon im ersten Stock kletterten. Als die Stiere nach eineinhalb Stunden völlig verängstigt und verschwitzt zwischen den Stricken, die sie um die Hörner hatten, ausrutschten, hinfielen, verstört in die eine dann in die andere Richtung davonlaufen wollten, und das Gejohle der Menschen immer lauter und angestachelter wurde- bin ich gegangen. Es hat mir erst Mal gereicht von Vino und Fiesta. Das war bereits die reinste Tierquälerei.
Bei den Fiestas in Pamplona müssen die Stiere nach dieser Hatz noch in die Arena und kämpfen. Und sie sterben dabei immer. Wenn ein Stier besonders tapfer kämpft, so würde er begnadigt werden, heißt es. Aber passiert ist das in den letzten Jahren nicht mehr. Das Publikum will den Stier sterben sehen. Ebenso ist nicht zu vergessen, dass sowohl in Portugal als auch in Spanien auch Pferde in der Arena dabei sind, die erste Phase des Stierkampfes wird vom Pferd aus gekämpft, und auch diese erleiden häufig schwere Verletzungen.
Gutes Leben ist auch kein Trost
Kein Spanier würde je auf die Idee kommen, die Hörner der Stiere abzukokeln, wie das in unserer Massentierhaltung der Fall ist. Bei uns leiden die Kühe und Stiere ihr ganzes (S)Tierleben lang weil sie eingepfercht in Ställen stehen, oder gleich aussortiert, und irgendwo lebendig in den Müll geschmissen werden, weil man bei uns so viele Stiere gar nicht braucht. Die Tiere werden unter furchtbaren Bedingungen zum Schlachthof transportiert und dort auch nicht gerade zimperlich ausgeladen. Und geschlachtet wird nirgendwo liebevoll.
Der Kampfstier hat ein schönes Leben auf der Weide. Aber das ist auch nicht besonders tröstend. Der Stier der in der Arena stirbt, kann nicht gegessen werden. Das Fleisch ist durch das Adrenalin eigentlich ungenießbar. Es werden ihm als Trophäe die Ohren und der Schwanz abgeschnitten. Ich finde das scheußlich.
Toter Matador - lebendige Diskussion
Gerade in den letzten Tagen flammt die Diskussion über die corrida neu auf. Der junge Matador (Stierkämpfer mit Prüfung) Victor Barrio wurde vor wenigen Tagen mit nur 29 Jahren von dem Stier Lorenzo in der Arena getötet. Der Torero weiß, welches Risiko er eingeht, es ist sein Beruf. Einige Tierschützer finden, es geschähe im Recht. Der Stier wird auch dann getötet, wenn er den Kampf gewinnt. Der Verlierer ist immer der Stier. In diesem Falle haben beide verloren. Und sicherlich ist das Publikum ebenfalls schockiert. In der gespannten Erwartung eines Stierkampfes, weiß zwar jeder, dass es auch den Torero erwischen kann, aber der Schock mit eigenen Augen zu sehen, wie jemand von einem Stier getötet wird, sitzt tief. Victors Frau saß auf der Tribüne und sah mit an, wie ihr Mann stirbt.
Der Tod macht den Torero unsterblich
Der Tod wird öffentlich aufgeführt, das ist das Faszinierende am Stierkampf, sagt der ehemalige Torero Jaime Ostos. „Wenn der Stier einen Torero in der Arena tötet, ist das natürlich tragisch“, sagt er. Er macht eine Pause, atmet tief ein. „Aber es ist auch ein Geschenk für den Stierkämpfer.“ Ein Torero der in der Arena stirbt, ist ein Held. Aber das hilft weder ihm, noch den Hinterbliebenen. Das ganze Interview ist hier nachzulesen.
Dennoch haben die Matadore auch Angst. In der „Zeit“ schildert José María Manzanares, dass die Angst seine treue Begleiterin ist. Schlaflose Nächte und der Wunsch kurz vor dem Kampf zu flüchten wären gegenwärtig.
Proteste gegen den Stierkampf
Der Tod des 29 jährigen Stierkämpfers ist bedauerlich. Auch wenn er selbst daran schuld ist, auch wenn er es wissen kann und wenn es sein eigenes Risiko ist. Warum sollte der Tod eines Menschen zur Unterhaltung weniger tragisch sein als der des Stieres? Aktivisten in Spanien haben kurz darauf erneut gegen den Stierkampf protestiert. Mit Blut überschüttet haben sie gegen den Tod der Stiere in Pamplona protestiert.
Nein zum Stierkampf
Ich bin eine Spanienvernarrte und Flamencoverrückte. Und ich mag Menschen und Tiere, besonders Stiere. Ich sage, es ist an der Zeit den Stierkampf zu beenden. Die Toreros haben Angst und verletzen sich oder sterben, der Stier stirbt immer - nach einer Tortur. Egal ob zur Unterhaltung, für Tierversuche oder für die Nahrungskette - Tierquälerei ist unmenschlich und unnötig. Egal wodurch. Egal wofür.
Es gäbe wohl auch noch eine weitere Möglichkeit, wie die Stierkämpfe zu beenden sind:
Juan Belmonte, einer der berühmtesten Matadors aller Zeiten, sagt „Wenn die Toreros ihre Verträge erst zwei Stunden vor einer Corrida unterschreiben müssten, dann gäbe es keinen Stierkampf mehr.“ (Steht ebenfalls im Tagesspiegel)